MADAGASKAR 🇲🇬 

Reiseroute 2013

AntananarivoAmbositra (über Ambotalampy und Antsirabe) – Ranomafana National ParkIsalo National Park (über Ambatovaki und Ambalovao) – IlakakaFianarantsoaAntsirabeAndasibe National ParkFoulpointeNosy Boraha (Besuch auf Nosy Nato)

Pest, Putziges und Putschversuche

Seit ich im Zoo erstmals Kattas und andere Lemuren gesehen habe, will ich auf die Insel, die solche schrägen Kreaturen hervorgebracht hat. Der Film „Madagascar“ bestätigt: lauter putzige Tiere. Der Reiseführer „Kulturschock Madagaskar“ hingegen warnt: ziemlich andere Sitten. So ist es bei verschiedenen Volksgruppen üblich, die Toten alle paar Jahre auszugraben und mit ihnen eine Riesenparty zu feiern. Die Internet-Recherche gibt ebenfalls zu denken: Der letzte von diversen Putschen war 2009. Ein 34-jähriger Ex-DJ hatte den regierenden Konzernchef, der das Land an die südkoreanische Firma Daewoo verkaufen wollte, mit Hilfe des Militärs abgesetzt. Ende Oktober 2013 (unmittelbar vor meiner Abreise) stehen endlich Präsidentschaftswahlen an, bei denen Unruhen ausbrechen könnten. Auf einer beliebten Ferieninsel im Norden wurden gerade drei Menschen von einem wütenden Mob als vermeintliche Organhändler bei lebendigem Leibe verbrannt. Ferner wurde das Land kürzlich von einer Heuschreckenplage heimgesucht, und ein Ausbruch der Beulenpest wird befürchtet. Schöne Aussichten: „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“… Langweilig wird dieser Urlaub sicher nicht!

Schon der Weg dorthin ist ein Abenteuer: Beim Einchecken sehe ich zufällig, dass Air Madagascar meinen Rückflug zwei Tage nach hinten geschoben hat und muss blitzschnell umbuchen. Immerhin findet der Hinflug statt. Das Unterhaltungsprogramm an Bord der uralten Boeing, die wohl mal Air France gehörte (sieht man am abgewetzten Teppich), ist überschaubar. Auf dem winzigen Monitor stehen zwei Filme zur Auswahl: „Casino Royale“ und „Die Truman Show“. Die kann man sich aber nicht ansehen, weil das System nicht funktioniert. In Paris und Marseille muss ich umsteigen. Frankreich ist eigentlich ein schönes Land. Dummerweise sprechen alle Französisch. Selbst wenn sie Englisch sprechen. „All one“, beschreibt mir ein Mann am Schalter in Marseille den Weg zum Weiterflug nach Tana. Wie bitte??? Dann sehe ich, dass ich mich in „Hall 3“ befinde.

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Hochzeit in Tana

Die Fahrt vom Flughafen ins Zentrum der Hauptstadt Antananarivo, die kurz „Tana“ genannt wird, erweist sich als wilder Slalom durch Ochsenkarren, Märkte, die sich vom Straßenrand in die Fahrbahn ausbreiten, Radfahrer und Fußgänger. Es ist samstagmorgens kurz nach fünf und alle drei Millionen Einwohner scheinen bereits auf den Beinen zu sein. Auf die Straße gemalte Spuren gibt es ebensowenig wie Ampeln. Erkennbare Verkehrsregeln auch nicht. Das Taxi ist ein rostiger Audi. Die Schwester des Fahrers lebt in Deutschland. Er hat ihn von dort in die TÜV-freie Zone importiert. Offenbar ist er nicht der Einzige: Viele der Autos haben noch Schweizer, französische oder deutsche Nummernschilder und Beschriftungen.

Im Hotel treffe ich schon drei meiner Mitreisenden und wir machen einen Rundgang durch die City. Als wir an der Internationalen Protestantischen Kirche vorbeikommen, findet gerade eine Hochzeit statt: Catherine ehelicht István. Eine Messdienerin lädt uns ein, hereinzukommen. Wahrscheinlich wundern sich die beiden anschließend, wer die vier weißen Frauen auf ihren Hochzeitsfotos sind. Anschließend fragt ein Messdiener nach unseren Nationalitäten. Als er hört, dass wir aus drei verschiedenen Ländern stammen, fragt er, ob wir zu den internationalen Wahlbeobachtern gehören, die die Präsidentenwahl eine Woche vorher im Auge hatten. Nach dem Gewusel des zentralen Marktes rasten wir im ehemaligen Bahnhof. Abends esse ich erstmals Zebu (sehr gutes Rindfleisch).

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Salamo, Madagaskar!

Wir fahren durchs zentrale Hochland, die Heimat der Merina. Unter anderem durchqueren wir die höchste Stadt Ambotalampy (1600 m), die für ihre Aluminiumarbeiten bekannt ist. An einem Stand, der Spielzeugautos aus Holz und alten Dosen anbietet, halten wir kurz. Ich kaufe eine kleine lila Ente, die sogar eine Front- und eine Heckscheibe sowie winzige Lampen hat. Eigentlich sind die Autos als Trostpflaster für madagassische Jungs gedacht, wenn sie in einer feierlichen Zeremonie beschnitten werden. Mädchen werden zum Glück auf der Insel nicht beschnitten.

In der Stadt Antsirabe besichtigen wir eine Werkstatt, in der ein Familienbetrieb solche Spielzeuge in liebevoller Handarbeit herstellt – z.B. Mini-Fahrräder mit Schläuchen aus abgelaufenen Kanülen als Reifen. Es wird absolut nichts weggeworfen! Nebenan fertigt ein Mann Schmuck und alles mögliche andere aus Zebuhörnern an. Auch hier kreatives Recycling: Die Poliermaschine wird von einem Waschmaschinenmotor angetrieben, die Polierscheibe ist aus einem ehemaligen Ölfass herausgeschnitten und mit alter Jeans bezogen. Weiter gehts nach Ambositra, wo wir übernachten. Die Ortsnamen fangen fast alle mit „An“ an, weil das auf Malagasy eine Ortsbezeichnung ist und in etwa „da, wo“ bedeutet. In unserem Hotelzimmer liegen sechs Bibeln (dreimal das Neue Testament auf Malagasy, dreimal in deutsch/französisch). Sorry: Missionierung impossible. Ich bin Agnostikerin, meine Mitbewohnerin Jüdin. Bevor wir aufbrechen, machen wir einen kurzen Spaziergang durch das Städtchen, das deutlich kleiner als Antsirabe ist. Die Kinder gehen gerade zur Schule. Für viele ist der „Schulbus“ eine Rikscha (Pousse-pousse). Bevor wir in einem Vorort Holzschnitzer besuchen, lernen wir die Begrüßung in der Landessprache: Man sagt (bzw. singt) „Salamo“, „Salama“ oder „Salame“ – aber nicht „Salami“.

Über eine ungeteerte Straße mit Brücken aus wackeligen Holzbohlen ohne Geländer rumpeln wir zu einem Dorf, in dem Seide hergestellt wird. Unterwegs stoppen wir auf einem örtlichen Markt. Nicht nur frisches Obst und Gemüse wird angeboten. Einige Stände sind Gemischtwarenläden mit Nähgarn, Kugelschreibern u.Ä. Die Leute sind zu Fuß da und haben bis zu zwei Stunden Anmarsch hinter sich. Waren werden auf dem Kopf transportiert. Eine Frau beispielsweise balanciert einen Korb voller lebender Hühner. Für die Seidenherstellung nutzen die Dorfbewohner neben importierten chinesischen Raupen vor allem eine heimische Nachtfalterart (die Maden werden gegessen). Deren Kokons werden gekocht, fermentiert, zu Fäden gesponnen und zu Schals gewebt. Einer der Weberinnen (ist reine Frauensache) schauen wir über die Schulter. Ihr Arbeitszimmer ist gleichzeitig Schlafzimmer und Babystube für ein Huhn mit frisch geschlüpften Küken. An der Wand hängen ein muslimisches und ein christliches Motiv friedlich nebeneinander. Wir lernen, dass jede Weberin das Holz, mit dem sie die Fäden festzieht, gut hütet. Wenn sie nämlich damit geschlagen wird (absichtlich oder aus Versehen), bringt das Unglück für eine zukünftige Ehe. Dann kriegt sie wohl nie einen Mann. Aber wozu braucht sie ihn eigentlich, wenn sie doch diejenige ist, die das Geld verdient? Ich würde wahrscheinlich rufen: „Schlag mich!“ Auf dem Boden einer Hütte genießen wir ein traditionelles Mittagessen mit Reis, Bohnen und gekochtem Huhn. Die Einheimischen selbst essen nur zu besonderen Anlässen (z.B. Weihnachten) Fleisch. Zu trinken gibt es den aufgekochten Bodensatz aus dem Reistopf, der erstaunlicherweise fast wie grüner Tee schmeckt.

Überall an der Straße stehen Öfen, in denen drei bis vier Tage lang Ziegel gebrannt werden. Es passen 50.000 Stück hinein. Das reicht für zwei der typischen Hochland-Häuser der Merina. Meist haben sie drei Stockwerke: unten die Tiere, im ersten Stock Wohn-/Schlafzimmer, oben die Küche. Gerade werden die Reisfelder bestellt. Kinder fischen mit einem Moskitonetz im Fluss. Am Nachmittag fängt es wieder an zu gießen, wie an den Vortagen. Die Regenzeit ist etwas zu früh dran. Egal. Wir sitzen im Bus. Ist ein langer Weg nach Ranomafana.

 

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Stotternde Kuckucks
und samtweiche Boas

Im Ranomafana National Park machen wir im Nieselregen eine fünfstündige Wanderung im Bergnebelwald. Fünf Lemurenarten können wir beobachten: Goldener Bambuslemur (sehr selten, erst 1986 wiederentdeckt, gibt es nur in Ranomafana), Großer Bambuslemur (noch seltener, einer sitzt direkt vor unserer Nase und fiept), Rotbauchmaki, Rotstirnmaki und den etwas größeren Edwards-Sifaka. Alle fressen oben in den Bäumen Blätter, kratzen oder putzen sich und pinkeln auf uns herunter. Wir erfahren, dass sie bei trockenerem Wetter auf den Boden kommen, um Dreck zu fressen. Das neutralisiert die Säure des Bambus.

Eine große, bunte Spinne (Weibchen) hängt mit ihren Kindern in einem goldenen Netz. Keine Spur vom Vater. Den hat Mama nach der Paarung verputzt. Außerdem zeigen die Ranger uns schwarze Giraffenhalskäfer. Ständig ist ein Kuckuck zu hören. Allerdings stottert die hiesige Art: „Ku-ku-ku-kuck“. Am Straßenrand außerhalb des Parks liegt eine Madagaskar-Boa, die sich sogar streicheln lässt (fühlt sich gar nicht kalt an, sondern samtig). Auf einer Nachtwanderung sehen wir den kleinen, großäugigen Braunen Mausmaki (unfassbar süß), ein winziges, ein etwas größeres und ein großes Chamäleon, Frösche und rote Giraffenhalskäfer.

 

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Im Reich von King Julien

Auf dem Weg Richtung Süden halten wir in dem Dorf Ambatovaky. Mit Unterstützung des Isalo-Nationalparks haben die Bauern dort die Schmiedekunst gelernt und produzieren aus Altmetall Schaufeln, die sie auf einem nahen Markt verkaufen. Dementsprechend sieht man, dass viele neue Häuser gebaut werden. Im Gegensatz zu anderen Orten gibt es keine bettelnden Kinder. Die Gegend wird immer trockener und wüstenähnlicher, mit vielen Kakteen. Ein Stück verläuft die Straße parallel zu Bahngleisen. Die Züge brauchen für die knapp 170 Kilometer lange Strecke von Fianarantsoa zur Ostküste mindestens zehn Stunden, erklärt unser Tourguide Bruno. Ist ja fast wie bei der Deutschen Bahn…

In Ambalavao besuchen wir den zweitgrößten Viehmarkt des Landes. Das Riesengelände wimmelt vor handelnden Menschen und Zebus. Nachdem die Europäer ihre Kühe und damit deren Krankheiten eingeführt hatten, sind die ursprünglichen alle gestorben. Zebus mussten aus Südindien wieder neu importiert werden. Insgesamt leben neun Millionen der buckligen Rinder in Madagaskar.

Dann treffen wir im Rahmen eines Katta-Projektes endlich die Verwandten von King Julien aus der Animations-Komödie „Madagascar“. In der Nähe des Isalo National Parks zeigt die örtliche Bevölkerung den Touristen die geringeltschwänzigen Lemuren und einige Chamäleons (darunter welche der Kleinsten) in ihrem Lebensraum und verbessert dadurch ihren Lebensunterhalt. So ist der früher als wertlos angesehene Wald für die Anwohner plötzlich lukrativ und schützenswert.

Am nächsten Tag wandern wir durch den Isalo National Park. Ein örtlicher Guide erklärt uns die Gebräuche der Bara: Sie sind die einzige polygame Ethnie in Madagaskar. Ein Mann kann mehrere Frauen haben (eine Frau allerdings nicht mehrere Männer). Einem alten Brauch zufolge muss der Mann vor der Hochzeit ein Zebu klauen. Doch inzwischen greift die Regierung hart durch. Viehdiebstahl wird mit fünf bis zehn Jahren in einem Ratten- (und Pest-)verseuchten Gefängnis bestraft. Daher kaufen die meisten Bara heute die Kuh lieber. Die Begräbnissitten sind ähnlich wie den Merina speziell: Zunächst kommt der Leichnam zwei bis drei Jahre in eine kleine Höhle am Berg, die mit Steinen verschlossen wird. Wenn nur noch Knochen vorhanden sind, zieht der/die Tote in ein Seidentuch gewickelt ins Familiengrab um (eine größere Höhle im Massiv, oft nur durch Abseilen erreichbar). Das ist Anlass zu einer großen Familienfeier. Wir laufen über die Höhen durch sonnenverbranntes Grasland. Unten am Fluss hingegen gibt es dichte Vegetation mit Palmen. Zweimal erfrischen wir uns in Naturpools. Das Wasser ist erstaunlich kalt, denn die Quelle ist nicht weit entfernt. Da das Isalo-Massiv aus Sandstein besteht, gibt es sogar einen kleinen Strand am ersten Pool. Mittagspause machen wir auf einem Campingplatz, wo wir alle drei im Park vorkommenden Lemurenarten sehen: Katta (mit zwei geringeltschwänzigen Babys), Rotstirnmaki (auch mit Baby – die Mama versucht den Rucksack eines Touristen zu durchsuchen, der an einem Tisch sitzt), Larvensifaka (bewegt sich auf dem Boden auf den Hinterbeinen tänzelnd, was er uns leider nicht vormacht). Ferner sitzen ein grünes und ein braunes Chamäleon in den Bäumen.

 

 

 

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Ein Fuß im Reisfeld

Bevor wir nach Norden zurückkehren, gehts noch ein Stück weiter Richtung Süden nach Ilakaka. Der lokale Fluss wird für alles genutzt: Zum Wäsche-, Auto- und Goldwaschen, als Kinderplanschbecken usw. Berühmt ist der Ort für seine Saphirminen. Die Edelsteine kommen in Tiefen von 15 bis 25 Metern vor. Erst wird ein Probeloch gebohrt. Ist es vielversprechend, wird weitergebuddelt. Nachher lässt man die Riesenlöcher, wie sie sind. Die ganze Gegend sieht wie ein Käse aus. Alles wird mit der Hand geschaufelt. Menschliche Arbeitskräfte sind hier billiger als Maschinen. Die Erde aus dem Loch wird dann in einer Rinne gewaschen. Saphire sind nicht in anderen Steinen versteckt, sondern funkeln heraus, wenn sie vom Staub befreit sind. Nicht alle sind blau, es gibt auch welche in pink, gelb, oder weiß. Außerdem werden in der Erde verschiedene Halbedelsteine gefunden. Im Ort kann man handgeschmiedete Schaufeln und Pfannen zum Schürfen kaufen. Und natürlich Schmuck.

Mittagspause machen wir in einem madagassischen Restaurant, in dem auch die Taxi Brousse (überfüllte Minibusse) halten. Serviert wird mal wieder gekochtes Hühnchen, Reis und Gemüse – aber keine kalten Getränke, da der Generator nicht richtig funktioniert. Der Obstsalat meiner Tischnachbarin hat eine Wurmbeilage. Es werden also keine Pestizide in der Landwirtschaft eingesetzt. Unterwegs sehen wir immer wieder Zebuherden, die über die Straße getrieben werden. Sie sind auf dem Weg zum größten Viehmarkt des Landes 250 Kilometer südwestlich der Hauptstadt und insgesamt sechs Wochen unterwegs. Zwischendurch gibt es verschiedene kleinere Märkte, auf denen die Rinder auch angeboten werden. Kein Wunder, dass das Fleisch so zart und fettarm ist – die sind Langstreckenläufer.

Beim Besuch einer Papierfabrik erfahren wir etwas über die hiesigen Besonderheiten. Es wird aus der Borke des Avoha-Baumes aus dem Südosten der Insel gemacht. Nach Ankunft der Araber im 12. Jahrhundert wollte man den Koran in Malagasy übersetzen, konnte aber keine papyrusartigen Pflanzen finden. Also nahm man diese.

Danach besichtigen wir eine Weinkellerei. Die Franzosen haben in den 70ern begonnen, im Hochland Madagaskars Wein anzubauen – mit bescheidenem Erfolg. Für das feuchtheiße Klima wurde extra eine spezielle Traubensorte gezüchtet. So gibt es nur weißen oder roten Wein, daraus zusammengepantschten Rosé sowie Dessertwein. Gelagert wird er nicht in Holzfässern, sondern in Betoncontainern. Und abgefüllt in Secondhandflaschen, die vor allem aus Restaurants stammen. Es sind also auch echt französische darunter, die Flaschen sind verschieden. Wir machen eine Probe, aber der Wein ist nicht besser als sein Ruf: Weiß ist stocksauer. Er heißt „Kamäleon“. Immerhin hat die Flasche ein schönes Etikett. Rot ist etwas trinkbarer, der Dessertwein dunkelbraun und irgendwie krümelig im Abgang. Sehr süß ist der Pfirsichwein. Ganz gut schmeckt hingegen der „Schnaps“, eine Art Grappa namens „Eau de Vie de Marc“.

Schließlich erreichen wir Fianarantsoa, die Heimat unseres Tourguides Bruno, der nun seine Frau und die drei Kinder besuchen kann. Die Altstadt des 1830 gegründeten und nach dem Vorbild von Antananarivo angelegten Orts ist sehr schön. Einige der Häuser haben Balkons (ein französischer Import). Wir befinden uns nun im Land der Betsileo und wandern in der Umgebung der Stadt durch verschiedene Dörfer und auf schmalen Stegen durch die allgegenwärtigen Reisfelder. Als ich ein Foto machen will, verliere ich kurz die Balance und lande mit dem rechten Fuß darin. Sofort versinke ich bis zur Wade im weichen Schlamm. Wenigstens bin ich nicht bäuchlings hineingefallen. Neben Reis werden in der fruchtbaren Gegend auch Kürbisse, Bohnen, Mais, Maniok, Tomaten, Zwiebeln und vieles andere angebaut. Bei einem Mittagessen in einem der traditionellen Häuser begrüßt uns die 79-jährige Uroma Filomena, die Dorfälteste. Dort essen wir die frischen Produkte. Dazu gibt es Zebu. Auf unserem Weg kommen wir an einer Pumpe vorbei, die den Anwohner trinkbares Wasser liefert. So müssen sie es nicht mehr aus dem Fluss holen. Zudem sehen wir große Chamäleons. Bruno zeigt uns eines aus der Nähe. Die Kinder des Dorfes (im Schnitt fünf pro Elternpaar) werfen ihm lebende Grillen zu. Zack, schnellt die Zunge hervor. Der lokale Guide erzählt interessante Details über die Kultur der Betsileo. Paare finden sich meist auf dem Markt. Der Junge nimmt dem Mädchen, das ihm gefällt, seinen Schal weg. Sie jagt ihm nach. Gefällt er ihr auch, hält er bei ihrer Familie um ihre Hand an. Sie kann aber auch nein sagen. Anders als bei den Bara gibt es hier keine vorläufigen Gräber. In Familiengräbern werden Männer und Frauen getrennt voneinander bestattet. Wer gegen die Regeln der Gemeinschaft verstößt (z.B. viele unbezahlte Schulden hat), darf nicht mit hinein, was eine große Schande ist.

 

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Ab durch die Mitte

Um zur Ostküste zu kommen, müssen wir erneut über Tana durchs zentrale Hochland fahren. In Antsirabe übernachten wir im schlossartigen „Hotel des Thermes“. Es wurde um 1930 erbaut und irgendwann in den 60ern renoviert. Seitdem verfällt es. Es gibt ein Bidet im Bad, aber das funktioniert nicht mehr. Die Balkontür wird mit einer Holzlatte gesichert. Der Garten ist ein Riesenpark mit verlassenem Tennisplatz, Minigolfplatz, Spielplatz und Basketballfeld. Alles ist menschenleer und erinnert an das Anwesen im Horrorfilm „Shining“. Trotzdem hat es noch Stil und Würde.

Diesmal halten wir in Ambotalampy und besichtigen eine Fabrik, in der Aluminiumtöpfe hergestellt werden. Altmetall aus La Réunion wird gerade von einem Lkw geladen, nebenan eingeschmolzen und gereinigt. Dann werden daraus in einer Form aus Erde und Asche Töpfe und Deckel gegossen. Ein Arbeiter schafft rund 50 pro Tag und bekommt dafür 5000 Ariary (ca. 1,70 €). Sicherheitsvorkehrungen existieren nicht. Auch die wie überall herumwimmelnden Hühner müssen aufpassen, nicht gegrillt zu werden.

Mittags picknicken wir mit Wein und Käse unter Kiefern. Anschließend halten wir im privaten Pereyras Park. Dort leben igelartige Tanreks, Krokodile, Schmetterlinge, Frösche und Schlangen. Die Highlights sind Geckos und Chamäleons, die man z.T. auf die Hand nehmen darf.

 

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Das Schreien der Indris

Unser dritter und letzter Nationalpark Andasibe ist wieder dicht bewaldet. Im Garten des direkt daneben liegenden Hotels kriecht nachts in einem großen Baum eine Gruppe von Rötlichen Fettschwanzmakis herum. Am nächsten Morgen werden wir vom „Gesang“ oder vielmehr Geheul der größten Lemurenart „Indri Indri“ geweckt (s. Film). Bei einer mehrstündigen Wanderung im Nationalpark beobachten wir u.a. schlafend im Baum ein Knäuel Östliche Wollmakis (drei auf einem Haufen sehen wie ein Koala aus) und eine Orgie von vier Diademsifakas auf dem Boden. Die wurden aus einem anderem Wald, der abgeholzt wurde, gerettet und hier neu angesiedelt. Ein Streifentanrek flitzt vorbei. Auch die vorlauten Indris lassen sich blicken. Außerdem zeigt uns der Nationalpark-Ranger Vögel wie den Madagaskar-Paradiesschnäpper und eine extrem seltene, endemische Nachtschwalbe, die wie eine kleine Eule aussieht und auf ihrem Nest sitzt.

Nachmittags sehen wir im nahen, nicht mehr zum Nationalpark gehörenden Wald eine Indrimutter mit Baby und ein junges Parson’s Chamäleon (wird mal das größte der Welt). Wie bei dem Katta-Projekt ist es ein schönes Gefühl, als Tourist mit einem Besuch dort die Natur eher zu schützen, statt ihr zu schaden: Die Eintrittsgelder sorgen dafür, dass die örtliche Bevölkerung für die Erhaltung des Waldes kämpft. Abends sehen wir neben der Straße verschiedene kleine nachtaktive Lemuren und Chamäleons. Im Dunkeln sind sie einfacher zu entdecken, weil sie dann ihre Farbe nicht der Umgebung anpassen können und hell sind.

 

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Ein (fast) perfekter Ort

Von Andasibe führt die Straße in vielen Windungen zur Ostküste Madagaskars hinunter. Die Bebauung ändert sich. Die Hochland-Häuser aus Lehmziegeln weichen im Land der Betsimaraka Hütten aus Holz, Palmen und Bambus. Die Kleidung wird bunter. Über die Hafenstadt Tamatave fahren wir weiter nach Norden zum Küstenort Foulpointe, wo wir in einem Strandhotel übernachten. Endlich am Meer!

Mit einem kleinen, vollbetzten „Speedboot“ setzen wir zur Insel Nosy Boraha (früher: Ile Sainte-Marie) über. Die Fähre scheint gleichzeitig auch Postboot und Frachtschiff zu sein: Zig Päckchen, Autoreifen, Reissäcke, eine Matratze und ein Kasten Bier werden mitverladen. Einer der Packer ist einen Kopf kleiner als ich und besteht nur aus Muskeln. Er trägt vier Gepäckstücke auf einmal, davon zwei auf dem Kopf. Vor dem Ablegen besteht die Crew darauf, dass jeder eine Schwimmweste anlegt. Ist das in einem Land, in dem oft Brücken- und Balkongeländer fehlen, ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?

Unser Hotel „Vanivola“ liegt an der Westküste, hat eine Riesenterassse mit Seeblick, super-Wifi und einen ständig schlafenden „Wachhund“ namens „Evil“. Zur Begrüßung gibts eine Kokosnuss. Die wilden Zeiten des ehemaligen Piratennestes sind definitiv vorbei. Es geht sehr beschaulich zu. Auf der „Hauptstraße“ tummeln sich mehr selbstmörderische Tiere als Autos. Dort überfahren wir beinahe eine Hühnerfamilie, Enten, Gänse, ein Kätzchen und Zebus. Noch ruhiger ist die kleinere Nosy Nato (früher: Ile aux Nattes) vor der Südspitze. Man kann von Nosy Boraha fast hinüberlaufen. Nosy Nato wurde einst von einem Hurrikan abgetrennt. Alles ist von einem Korallenriff umgeben, das noch ziemlich intakt ist. Schnorcheln lohnt sich also, auch wenn die größeren Fische inzwischen weitgehend weggefangen wurden. Im Garten eines Hotels turnen Schwarzweiße Varis herum. Die Postkartenstrände muss man sich leider z.T. mit Sandfliegen teilen. Sie sind winzig und lassen sich mit Insektenspray vielleicht ertränken, jedoch nicht abschrecken. Erst einen Tag später erscheinen die furchtbar juckenden Stiche am ganzen Körper. Jetzt weiß ich, warum außer mir keiner im Sand liegt… Einmal fahren wir mit Guide Gregoire in einer Pirogue (Einbaum, der mit einer langen Stange durchs flache Wasser manövriert wird) zum Schnorcheln vor der Ostküste von Nosy Boraha hinaus, inklusive Besuch in seinem Haus und Mittagessen (frischer Fisch), das seine Frau gekocht hat. Unterwegs begegnen wir einem kleinem Jungen, der bei unserem Anblick anfängt zu weinen. Hier haben die Kinder eben keine Angst vorm schwarzen, sondern vorm weißen Mann (oder in in unserem Fall vor den weißen Frauen). Der Kleine hält uns für Geister.

Der Flughafen im Süden von Nosy Boraha ist winzig. Es gibt nicht einmal einen Zaun ums Rollfeld, neben dem Zebus weiden. Was machen die, wenn plötzlich eine Kuh auf der Start- und Landebahn steht? Besser nicht weiter darüber nachdenken. Auch der Check-in ist nicht übermäßig streng. Es ist zwar ein Gerät zum Durchleuchten des Handgepäcks vorhanden. Allerdings werden die Passagiere einfach durchgewinkt (vermutlich kaputt). Naja, die Strecke ist wohl für Terroristen nicht allzu interessant. Die Propellermaschine nach Tana ist sogar fast pünktlich. Hilft aber nicht, da der Anschlussflug nach Mauritius um drei Stunden nach hinten verschoben wurde. Nun sitze ich sieben Stunden auf dem Hauptstadt-Flughafen, der absolut nichts zu bieten hat (nicht einmal eine Gepäckaufbewahrung und kaum Sitzgelegenheiten). Da ich meinen großen Rucksack bewachen muss, kann ich den kostbaren Sitz vor dem Eingang ohnehin nicht aufgeben. Aus dem erhofften Besuch der benachbarten Krokodilfarm wird nichts: Regelmäßiger Busverkehr existiert nicht (Taxi Brousse fahren erst los, wenn sie voll sind). Der Taxifahrer, mit dem ich gerade einen Preis ausgehandelt habe, will noch auf dem Parkplatz extra Geld fürs Parkticket abzocken und verlangt plötzlich das Doppelte. Non, merci! Dann sitze ich halt rum. Weil durch die Verschiebung des Fluges nach Mauritus die Zeit zum Umsteigen für meine beiden Anschlussflüge nach Paris und von dort weiter nach Hamburg nun extrem knapp ist, werde ich noch genug Bewegung bekommen….

 

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