MADAGASKAR 🇲🇬 

Reiseroute 2013

AntananarivoAmbositra (über Ambotalampy und Antsirabe) – Ranomafana National ParkIsalo National Park (über Ambatovaki und Ambalovao) – IlakakaFianarantsoaAntsirabeAndasibe National ParkFoulpointeNosy Boraha (Besuch auf Nosy Nato)

Pest, Putziges und Putschversuche

Seit ich im Zoo erstmals Kattas und andere Lemuren gesehen habe, will ich auf die Insel, die solche schrägen Kreaturen hervorgebracht hat. Der Film „Madagascar“ bestätigt: lauter putzige Tiere. Der Reiseführer „Kulturschock Madagaskar“ hingegen warnt: ziemlich andere Sitten. So ist es bei verschiedenen Volksgruppen üblich, die Toten alle paar Jahre auszugraben und mit ihnen eine Riesenparty zu feiern. Die Internet-Recherche gibt ebenfalls zu denken: Der letzte von diversen Putschen war 2009. Ein 34-jähriger Ex-DJ hatte den regierenden Konzernchef, der das Land an die südkoreanische Firma Daewoo verkaufen wollte, mit Hilfe des Militärs abgesetzt. Ende Oktober 2013 (unmittelbar vor meiner Abreise) stehen endlich Präsidentschaftswahlen an, bei denen Unruhen ausbrechen könnten. Auf einer beliebten Ferieninsel im Norden wurden gerade drei Menschen von einem wütenden Mob als vermeintliche Organhändler bei lebendigem Leibe verbrannt. Ferner wurde das Land kürzlich von einer Heuschreckenplage heimgesucht, und ein Ausbruch der Beulenpest wird befürchtet. Schöne Aussichten: „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“… Langweilig wird dieser Urlaub sicher nicht!

Schon der Weg dorthin ist ein Abenteuer: Beim Einchecken sehe ich zufällig, dass Air Madagascar meinen Rückflug zwei Tage nach hinten geschoben hat und muss blitzschnell umbuchen. Immerhin findet der Hinflug statt. Das Unterhaltungsprogramm an Bord der uralten Boeing, die wohl mal Air France gehörte (sieht man am abgewetzten Teppich), ist überschaubar. Auf dem winzigen Monitor stehen zwei Filme zur Auswahl: „Casino Royale“ und „Die Truman Show“. Die kann man sich aber nicht ansehen, weil das System nicht funktioniert. In Paris und Marseille muss ich umsteigen. Frankreich ist eigentlich ein schönes Land. Dummerweise sprechen alle Französisch. Selbst wenn sie Englisch sprechen. „All one“, beschreibt mir ein Mann am Schalter in Marseille den Weg zum Weiterflug nach Tana. Wie bitte??? Dann sehe ich, dass ich mich in „Hall 3“ befinde.

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Hochzeit in Tana

Die Fahrt vom Flughafen ins Zentrum der Hauptstadt Antananarivo, die kurz „Tana“ genannt wird, erweist sich als wilder Slalom durch Ochsenkarren, Märkte, die sich vom Straßenrand in die Fahrbahn ausbreiten, Radfahrer und Fußgänger. Es ist samstagmorgens kurz nach fünf und alle drei Millionen Einwohner scheinen bereits auf den Beinen zu sein. Auf die Straße gemalte Spuren gibt es ebensowenig wie Ampeln. Erkennbare Verkehrsregeln auch nicht. Das Taxi ist ein rostiger Audi. Die Schwester des Fahrers lebt in Deutschland. Er hat ihn von dort in die TÜV-freie Zone importiert. Offenbar ist er nicht der Einzige: Viele der Autos haben noch Schweizer, französische oder deutsche Nummernschilder und Beschriftungen.

Im Hotel treffe ich schon drei meiner Mitreisenden und wir machen einen Rundgang durch die City. Als wir an der Internationalen Protestantischen Kirche vorbeikommen, findet gerade eine Hochzeit statt: Catherine ehelicht István. Eine Messdienerin lädt uns ein, hereinzukommen. Wahrscheinlich wundern sich die beiden anschließend, wer die vier weißen Frauen auf ihren Hochzeitsfotos sind. Anschließend fragt ein Messdiener nach unseren Nationalitäten. Als er hört, dass wir aus drei verschiedenen Ländern stammen, fragt er, ob wir zu den internationalen Wahlbeobachtern gehören, die die Präsidentenwahl eine Woche vorher im Auge hatten. Nach dem Gewusel des zentralen Marktes rasten wir im ehemaligen Bahnhof. Abends esse ich erstmals Zebu (sehr gutes Rindfleisch).

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Salamo, Madagaskar!

Wir fahren durchs zentrale Hochland, die Heimat der Merina. Unter anderem durchqueren wir die höchste Stadt Ambotalampy (1600 m), die für ihre Aluminiumarbeiten bekannt ist. An einem Stand, der Spielzeugautos aus Holz und alten Dosen anbietet, halten wir kurz. Ich kaufe eine kleine lila Ente, die sogar eine Front- und eine Heckscheibe sowie winzige Lampen hat. Eigentlich sind die Autos als Trostpflaster für madagassische Jungs gedacht, wenn sie in einer feierlichen Zeremonie beschnitten werden. Mädchen werden zum Glück auf der Insel nicht beschnitten.

In der Stadt Antsirabe besichtigen wir eine Werkstatt, in der ein Familienbetrieb solche Spielzeuge in liebevoller Handarbeit herstellt – z.B. Mini-Fahrräder mit Schläuchen aus abgelaufenen Kanülen als Reifen. Es wird absolut nichts weggeworfen! Nebenan fertigt ein Mann Schmuck und alles mögliche andere aus Zebuhörnern an. Auch hier kreatives Recycling: Die Poliermaschine wird von einem Waschmaschinenmotor angetrieben, die Polierscheibe ist aus einem ehemaligen Ölfass herausgeschnitten und mit alter Jeans bezogen. Weiter gehts nach Ambositra, wo wir übernachten. Die Ortsnamen fangen fast alle mit „An“ an, weil das auf Malagasy eine Ortsbezeichnung ist und in etwa „da, wo“ bedeutet. In unserem Hotelzimmer liegen sechs Bibeln (dreimal das Neue Testament auf Malagasy, dreimal in deutsch/französisch). Sorry: Missionierung impossible. Ich bin Agnostikerin, meine Mitbewohnerin Jüdin. Bevor wir aufbrechen, machen wir einen kurzen Spaziergang durch das Städtchen, das deutlich kleiner als Antsirabe ist. Die Kinder gehen gerade zur Schule. Für viele ist der „Schulbus“ eine Rikscha (Pousse-pousse). Bevor wir in einem Vorort Holzschnitzer besuchen, lernen wir die Begrüßung in der Landessprache: Man sagt (bzw. singt) „Salamo“, „Salama“ oder „Salame“ – aber nicht „Salami“.

Über eine ungeteerte Straße mit Brücken aus wackeligen Holzbohlen ohne Geländer rumpeln wir zu einem Dorf, in dem Seide hergestellt wird. Unterwegs stoppen wir auf einem örtlichen Markt. Nicht nur frisches Obst und Gemüse wird angeboten. Einige Stände sind Gemischtwarenläden mit Nähgarn, Kugelschreibern u.Ä. Die Leute sind zu Fuß da und haben bis zu zwei Stunden Anmarsch hinter sich. Waren werden auf dem Kopf transportiert. Eine Frau beispielsweise balanciert einen Korb voller lebender Hühner. Für die Seidenherstellung nutzen die Dorfbewohner neben importierten chinesischen Raupen vor allem eine heimische Nachtfalterart (die Maden werden gegessen). Deren Kokons werden gekocht, fermentiert, zu Fäden gesponnen und zu Schals gewebt. Einer der Weberinnen (ist reine Frauensache) schauen wir über die Schulter. Ihr Arbeitszimmer ist gleichzeitig Schlafzimmer und Babystube für ein Huhn mit frisch geschlüpften Küken. An der Wand hängen ein muslimisches und ein christliches Motiv friedlich nebeneinander. Wir lernen, dass jede Weberin das Holz, mit dem sie die Fäden festzieht, gut hütet. Wenn sie nämlich damit geschlagen wird (absichtlich oder aus Versehen), bringt das Unglück für eine zukünftige Ehe. Dann kriegt sie wohl nie einen Mann. Aber wozu braucht sie ihn eigentlich, wenn sie doch diejenige ist, die das Geld verdient? Ich würde wahrscheinlich rufen: „Schlag mich!“ Auf dem Boden einer Hütte genießen wir ein traditionelles Mittagessen mit Reis, Bohnen und gekochtem Huhn. Die Einheimischen selbst essen nur zu besonderen Anlässen (z.B. Weihnachten) Fleisch. Zu trinken gibt es den aufgekochten Bodensatz aus dem Reistopf, der erstaunlicherweise fast wie grüner Tee schmeckt.

Überall an der Straße stehen Öfen, in denen drei bis vier Tage lang Ziegel gebrannt werden. Es passen 50.000 Stück hinein. Das reicht für zwei der typischen Hochland-Häuser der Merina. Meist haben sie drei Stockwerke: unten die Tiere, im ersten Stock Wohn-/Schlafzimmer, oben die Küche. Gerade werden die Reisfelder bestellt. Kinder fischen mit einem Moskitonetz im Fluss. Am Nachmittag fängt es wieder an zu gießen, wie an den Vortagen. Die Regenzeit ist etwas zu früh dran. Egal. Wir sitzen im Bus. Ist ein langer Weg nach Ranomafana.

 

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Stotternde Kuckucks
und samtweiche Boas

Im Ranomafana National Park machen wir im Nieselregen eine fünfstündige Wanderung im Bergnebelwald. Fünf Lemurenarten können wir beobachten: Goldener Bambuslemur (sehr selten, erst 1986 wiederentdeckt, gibt es nur in Ranomafana), Großer Bambuslemur (noch seltener, einer sitzt direkt vor unserer Nase und fiept), Rotbauchmaki, Rotstirnmaki und den etwas größeren Edwards-Sifaka. Alle fressen oben in den Bäumen Blätter, kratzen oder putzen sich und pinkeln auf uns herunter. Wir erfahren, dass sie bei trockenerem Wetter auf den Boden kommen, um Dreck zu fressen. Das neutralisiert die Säure des Bambus.

Eine große, bunte Spinne (Weibchen) hängt mit ihren Kindern in einem goldenen Netz. Keine Spur vom Vater. Den hat Mama nach der Paarung verputzt. Außerdem zeigen die Ranger uns schwarze Giraffenhalskäfer. Ständig ist ein Kuckuck zu hören. Allerdings stottert die hiesige Art: „Ku-ku-ku-kuck“. Am Straßenrand außerhalb des Parks liegt eine Madagaskar-Boa, die sich sogar streicheln lässt (fühlt sich gar nicht kalt an, sondern samtig). Auf einer Nachtwanderung sehen wir den kleinen, großäugigen Braunen Mausmaki (unfassbar süß), ein winziges, ein etwas größeres und ein großes Chamäleon, Frösche und rote Giraffenhalskäfer.

 

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Im Reich von King Julien

Auf dem Weg Richtung Süden halten wir in dem Dorf Ambatovaky. Mit Unterstützung des Isalo-Nationalparks haben die Bauern dort die Schmiedekunst gelernt und produzieren aus Altmetall Schaufeln, die sie auf einem nahen Markt verkaufen. Dementsprechend sieht man, dass viele neue Häuser gebaut werden. Im Gegensatz zu anderen Orten gibt es keine bettelnden Kinder. Die Gegend wird immer trockener und wüstenähnlicher, mit vielen Kakteen. Ein Stück verläuft die Straße parallel zu Bahngleisen. Die Züge brauchen für die knapp 170 Kilometer lange Strecke von Fianarantsoa zur Ostküste mindestens zehn Stunden, erklärt unser Tourguide Bruno. Ist ja fast wie bei der Deutschen Bahn…

In Ambalavao besuchen wir den zweitgrößten Viehmarkt des Landes. Das Riesengelände wimmelt vor handelnden Menschen und Zebus. Nachdem die Europäer ihre Kühe und damit deren Krankheiten eingeführt hatten, sind die ursprünglichen alle gestorben. Zebus mussten aus Südindien wieder neu importiert werden. Insgesamt leben neun Millionen der buckligen Rinder in Madagaskar.

Dann treffen wir im Rahmen eines Katta-Projektes endlich die Verwandten von King Julien aus der Animations-Komödie „Madagascar“. In der Nähe des Isalo National Parks zeigt die örtliche Bevölkerung den Touristen die geringeltschwänzigen Lemuren und einige Chamäleons (darunter welche der Kleinsten) in ihrem Lebensraum und verbessert dadurch ihren Lebensunterhalt. So ist der früher als wertlos angesehene Wald für die Anwohner plötzlich lukrativ und schützenswert.

Am nächsten Tag wandern wir durch den Isalo National Park. Ein örtlicher Guide erklärt uns die Gebräuche der Bara: Sie sind die einzige polygame Ethnie in Madagaskar. Ein Mann kann mehrere Frauen haben (eine Frau allerdings nicht mehrere Männer). Einem alten Brauch zufolge muss der Mann vor der Hochzeit ein Zebu klauen. Doch inzwischen greift die Regierung hart durch. Viehdiebstahl wird mit fünf bis zehn Jahren in einem Ratten- (und Pest-)verseuchten Gefängnis bestraft. Daher kaufen die meisten Bara heute die Kuh lieber. Die Begräbnissitten sind ähnlich wie den Merina speziell: Zunächst kommt der Leichnam zwei bis drei Jahre in eine kleine Höhle am Berg, die mit Steinen verschlossen wird. Wenn nur noch Knochen vorhanden sind, zieht der/die Tote in ein Seidentuch gewickelt ins Familiengrab um (eine größere Höhle im Massiv, oft nur durch Abseilen erreichbar). Das ist Anlass zu einer großen Familienfeier. Wir laufen über die Höhen durch sonnenverbranntes Grasland. Unten am Fluss hingegen gibt es dichte Vegetation mit Palmen. Zweimal erfrischen wir uns in Naturpools. Das Wasser ist erstaunlich kalt, denn die Quelle ist nicht weit entfernt. Da das Isalo-Massiv aus Sandstein besteht, gibt es sogar einen kleinen Strand am ersten Pool. Mittagspause machen wir auf einem Campingplatz, wo wir alle drei im Park vorkommenden Lemurenarten sehen: Katta (mit zwei geringeltschwänzigen Babys), Rotstirnmaki (auch mit Baby – die Mama versucht den Rucksack eines Touristen zu durchsuchen, der an einem Tisch sitzt), Larvensifaka (bewegt sich auf dem Boden auf den Hinterbeinen tänzelnd, was er uns leider nicht vormacht). Ferner sitzen ein grünes und ein braunes Chamäleon in den Bäumen.

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